Montag, 9. November 2009
Der Mauerfall
haruwa, 14:35h
Zwanzig Jahre ist es also mittlerweile her... Zwanzig Jahre? Zwanzig Jahre!!!
Denkt man an das Erlebnis von damals, so kommen einem diese zwanzig Jahre wie ein Tag vor. Alles, was in zwanzig Jahren geschah, schrumpft dann zu einem Nichts. Oder doch zu einem Fast-Nichts. Es war ein Urerlebnis. Etwas, was mich von den Jüngeren trennt - entweder weil sie noch zu jung oder noch gar nicht geboren waren. Es sind zwei Tage - es sind nur zwei Tage, bei denen ich noch nach Jahren und Jahrzehnten genau weiß, was ich gemacht habe, als ich es erfuhr. Der andere Tag ist der 11. September 2001. Dieser Tag fand knapp zwölf Jahre zuvor statt:
Am 9. November 1989.
Ich war seinerzeit ein junger Student an der Universität Bremen - gerade einmal im dritten Semester. Und ich gewöhnte mich gerade in das völlig andere Milieu und die gegenüber der Schule völlig anderen Arbeitsabläufe ein. Dieser 9. November stellt sich in meiner Erinnerung als ein zunächst ganz normaler Tag dar. Neblig-grau wie fast alle Novembertage und geeignet nur, wenn man hinter dem warmen Ofen sitzen konnte. Den größten Teil hatte ich damit verbracht, an irgendeinem Referat herum zu arbeiten. Horribile dictu: mit einer Schreibmaschine! Das gab es damals wirklich noch. Zwischendurch hatte ich mich durch anderweitige Lektüre von dem stocklangweiligen Thema abgelenkt. Und auf diese Weise bis zum Abend weit weniger geschafft als ich eigentlich vorgehabt hatte. Dann musste ich meiner Mutter helfen, meinen seinerzeit bereits intensiv pflegebedürftigen Vater zu versorgen. Und dann hatte ich vor dem Schlafengehen noch etwas Zeit zum Fernsehen.
Vor dem Schlafengehen? So dachte ich wenigstens.
Fünf Programme konnte ich mit unserer alten Antenne seinerzeit empfangen. Analog natürlich. Wie gut, dass ich noch nichts von unserer heutigen Fernsehlandschaft ahnte. In der ARD lief ein Fußballspiel - VFB Stuttgart gegen Bayern München. Naja, man musste es nicht wirklich sehen. Ich blieb eher an der Glotze hängen als dass ich mich dafür interessiert hätte. Frei nach dem Motto: "74 Minuten hast Du geschafft - die restlichen 16 kriegst Du jetzt auch noch herum." Außerdem war ich faul und müde und das Sofa so schön gemütlich. Deshalb blieb ich auch dort hingefläzt als das Spiel endlich vorbei war und die Tagesthemen sich ankündigten.
Ich hatte an diesem Tag noch keine Nachrichten gehört.
Die bekannte Tagesthemen-Fanfare ertönte, der Vorspann lief ab, der schlohweiße Fernseh-Patriarch Hans-Joachim Friedrichs erschien auf der Mattscheibe. Ich lag in meinem dösigen Zustand nurmehr mit dem Oberkörper auf dem Sofa, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und beide Beine weit von mir gestreckt. Fast schon im Halbschlaf. Und dann folgte jener Satz, der mich schlagartig wach machte. Ich erinnere mich noch, dass ich mit einem solchen Ruck hoch fuhr, dass ich vom Sofa herunter rutschte und mit dem Po ziemlich hart auf dem Fußboden aufkam.
DIE MAUER IST AUF!!!
Dass es ein historischer Tag sei, das sagte Hans-Joachim Friedrichs dann auch noch. Aber er hätte es nicht zu tun brauchen. Das war in derselben Sekunde klar. Völlig klar.
Die Bilder, die man danach sehen konnte, waren so völlig unglaublich, so total jenseits von allem, was vorstellbar war, dass einem der Atem stockte: Haufenweise Menschen, die auf die Mauer kraxelten, andere, die - Sektflaschen in der Hand - auf ihr tanzten, irgendwo im Hintergrund spritzte ein Wasserwerfer herum und sah dabei aus wie die Fontäne eines barocken Wasserballetts. Dann hupende, überladeneTrabbis, kreischende Menschen - hysterisch vor Glück, ein Reporter, der - so laut er nur konnte - in sein Mikrofon sprach, schrie, brüllte - und doch kaum hörbar war, ratlos herum stehende DDR-Grenzsoldaten, Sinnbild völliger Deplaziertheit - und immer wieder tanzende, gröhlende, jauchzende, jubelnde Menschenmassen auf der Mauer.
Ich habe nicht besonders nah am Wasser gebaut und "funktioniere" auch sonst eher mit dem Kopf. Aber an diesem 9. November 1989, abends so gegen 22h.45min. bekam ich einen ziemlich heftigen Weinkrampf. An Schlaf war im Ernst nicht mehr zu denken. Dafür war die Erregung einfach viel zu stark, die Emotion so hochgepeitscht wie körperlich nur irgend möglich. Ja, wahrscheinlich so intensiv wie nie zuvor - und wie nie wieder seither.
Ich habe mich damals wieder zurückversetzt gefühlt in jene Situation panischer Angst, als mich am Bode-Museum in Ost-Berlin jener verflossene Stasi-Typ filzte und mir dabei auf eine sehr unangenehme Weise deutlich machte, dass meine Haare zu lang und meine Jeans zu eng waren für diese ostdeutsche Republik. Auch wenn ich ihr nur eine kurze Stipvisite abstattete.
An das verstörende Erlebnis des Stacheldrahts quer über der Eisenbahnlinie kurz hinter Walkenried.
An die düster dräuenden Wachtürme. Die Geisterbahnhöfe, welche die Westberliner U-Bahn durchquerte, wenn sie von Süden kommend in Richtung Gesundbrunnen fuhr.
An die einschüchternd leeren Boulevards und Plätze auf der anderen Seite des Brandenburger Tors.
An den aggressiv-herrischen Schnautzton, mit dem man bei der Passkontrolle abgefertigt wurde.
Aber auch an das öde Phrasengeleiere, mit dem hüben wie drüben längst obsolete Ideologien repetiert wurden.
An das ganze gemeingefährliche Geschwätz vom "Empire of Evil".
Das war jetzt vorbei - VORBEI - V O R B E I !!!
Zwanzig Jahre ist das jetzt her. Zwanzig Jahre? Zwanzig Jahre!!! Unglaublich.
Denkt man an das Erlebnis von damals, so kommen einem diese zwanzig Jahre wie ein Tag vor. Alles, was in zwanzig Jahren geschah, schrumpft dann zu einem Nichts. Oder doch zu einem Fast-Nichts. Es war ein Urerlebnis. Etwas, was mich von den Jüngeren trennt - entweder weil sie noch zu jung oder noch gar nicht geboren waren. Es sind zwei Tage - es sind nur zwei Tage, bei denen ich noch nach Jahren und Jahrzehnten genau weiß, was ich gemacht habe, als ich es erfuhr. Der andere Tag ist der 11. September 2001. Dieser Tag fand knapp zwölf Jahre zuvor statt:
Am 9. November 1989.
Ich war seinerzeit ein junger Student an der Universität Bremen - gerade einmal im dritten Semester. Und ich gewöhnte mich gerade in das völlig andere Milieu und die gegenüber der Schule völlig anderen Arbeitsabläufe ein. Dieser 9. November stellt sich in meiner Erinnerung als ein zunächst ganz normaler Tag dar. Neblig-grau wie fast alle Novembertage und geeignet nur, wenn man hinter dem warmen Ofen sitzen konnte. Den größten Teil hatte ich damit verbracht, an irgendeinem Referat herum zu arbeiten. Horribile dictu: mit einer Schreibmaschine! Das gab es damals wirklich noch. Zwischendurch hatte ich mich durch anderweitige Lektüre von dem stocklangweiligen Thema abgelenkt. Und auf diese Weise bis zum Abend weit weniger geschafft als ich eigentlich vorgehabt hatte. Dann musste ich meiner Mutter helfen, meinen seinerzeit bereits intensiv pflegebedürftigen Vater zu versorgen. Und dann hatte ich vor dem Schlafengehen noch etwas Zeit zum Fernsehen.
Vor dem Schlafengehen? So dachte ich wenigstens.
Fünf Programme konnte ich mit unserer alten Antenne seinerzeit empfangen. Analog natürlich. Wie gut, dass ich noch nichts von unserer heutigen Fernsehlandschaft ahnte. In der ARD lief ein Fußballspiel - VFB Stuttgart gegen Bayern München. Naja, man musste es nicht wirklich sehen. Ich blieb eher an der Glotze hängen als dass ich mich dafür interessiert hätte. Frei nach dem Motto: "74 Minuten hast Du geschafft - die restlichen 16 kriegst Du jetzt auch noch herum." Außerdem war ich faul und müde und das Sofa so schön gemütlich. Deshalb blieb ich auch dort hingefläzt als das Spiel endlich vorbei war und die Tagesthemen sich ankündigten.
Ich hatte an diesem Tag noch keine Nachrichten gehört.
Die bekannte Tagesthemen-Fanfare ertönte, der Vorspann lief ab, der schlohweiße Fernseh-Patriarch Hans-Joachim Friedrichs erschien auf der Mattscheibe. Ich lag in meinem dösigen Zustand nurmehr mit dem Oberkörper auf dem Sofa, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und beide Beine weit von mir gestreckt. Fast schon im Halbschlaf. Und dann folgte jener Satz, der mich schlagartig wach machte. Ich erinnere mich noch, dass ich mit einem solchen Ruck hoch fuhr, dass ich vom Sofa herunter rutschte und mit dem Po ziemlich hart auf dem Fußboden aufkam.
DIE MAUER IST AUF!!!
Dass es ein historischer Tag sei, das sagte Hans-Joachim Friedrichs dann auch noch. Aber er hätte es nicht zu tun brauchen. Das war in derselben Sekunde klar. Völlig klar.
Die Bilder, die man danach sehen konnte, waren so völlig unglaublich, so total jenseits von allem, was vorstellbar war, dass einem der Atem stockte: Haufenweise Menschen, die auf die Mauer kraxelten, andere, die - Sektflaschen in der Hand - auf ihr tanzten, irgendwo im Hintergrund spritzte ein Wasserwerfer herum und sah dabei aus wie die Fontäne eines barocken Wasserballetts. Dann hupende, überladeneTrabbis, kreischende Menschen - hysterisch vor Glück, ein Reporter, der - so laut er nur konnte - in sein Mikrofon sprach, schrie, brüllte - und doch kaum hörbar war, ratlos herum stehende DDR-Grenzsoldaten, Sinnbild völliger Deplaziertheit - und immer wieder tanzende, gröhlende, jauchzende, jubelnde Menschenmassen auf der Mauer.
Ich habe nicht besonders nah am Wasser gebaut und "funktioniere" auch sonst eher mit dem Kopf. Aber an diesem 9. November 1989, abends so gegen 22h.45min. bekam ich einen ziemlich heftigen Weinkrampf. An Schlaf war im Ernst nicht mehr zu denken. Dafür war die Erregung einfach viel zu stark, die Emotion so hochgepeitscht wie körperlich nur irgend möglich. Ja, wahrscheinlich so intensiv wie nie zuvor - und wie nie wieder seither.
Ich habe mich damals wieder zurückversetzt gefühlt in jene Situation panischer Angst, als mich am Bode-Museum in Ost-Berlin jener verflossene Stasi-Typ filzte und mir dabei auf eine sehr unangenehme Weise deutlich machte, dass meine Haare zu lang und meine Jeans zu eng waren für diese ostdeutsche Republik. Auch wenn ich ihr nur eine kurze Stipvisite abstattete.
An das verstörende Erlebnis des Stacheldrahts quer über der Eisenbahnlinie kurz hinter Walkenried.
An die düster dräuenden Wachtürme. Die Geisterbahnhöfe, welche die Westberliner U-Bahn durchquerte, wenn sie von Süden kommend in Richtung Gesundbrunnen fuhr.
An die einschüchternd leeren Boulevards und Plätze auf der anderen Seite des Brandenburger Tors.
An den aggressiv-herrischen Schnautzton, mit dem man bei der Passkontrolle abgefertigt wurde.
Aber auch an das öde Phrasengeleiere, mit dem hüben wie drüben längst obsolete Ideologien repetiert wurden.
An das ganze gemeingefährliche Geschwätz vom "Empire of Evil".
Das war jetzt vorbei - VORBEI - V O R B E I !!!
Zwanzig Jahre ist das jetzt her. Zwanzig Jahre? Zwanzig Jahre!!! Unglaublich.
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