Donnerstag, 31. Mai 2007
Caput 2: Die Haare
Nämlich die Haare. Es kommt einem aus heutiger Sicht ebenfalls recht seltsam vor, wenn man die alten Fotos aus den 80ern anschaut und dabei einmal nicht auf die Kleidung sondern etwas weiter nach oben guckt. Irgendwie sieht es ja fast so aus, als seien wir alle zum selben Friseur gegangen. Oder eben auch gar nicht.

Die Mädels pflegen üblicherweise auf den alten Fotos - und in der Erinnerung - nahezu durchgehend lange Haare zu haben. Die Mehrzahl mit in Höhe oder etwas unterhalb der Schulterblätter gestutzten, recht viele hingegen auch mit frei bis zu den Hüften wachsenden. Und dann vor allem: Fast alle Mädchen trugen ihre Haare nur hinten lang. Vorne waren sie gestutzt. Fielen die Haare hingegen einfach so ungestört ins und zuweilen auch über das Gesicht, dann trug die Betreffende mit Sicherheit auch Öko- bzw. Latzhosen sowie Norwegerpullover und sympathisierte mit den damals gerade gegründeten Grünen.

Eine einzige Mitschülerin von mir hatte eine Kurzhaarfrisur. Doch als wir uns dann vor ein paar Jahren auf einer Jubiläums-Klassenfete wiedersahen, war ausgerechnet sie es - welch´ Überraschung - , deren Haare bis ganz hinunter auf den Po reichten. Mehr noch: Als Einzige erlaubte sie es ihren Haaren, überhaupt bis über die Schultern zu wachsen. Alle Anderen trugen die ihrigen mittlerweile kurz geschnitten. Bei Wenigen reichten sie noch knapp auf die Schultern. Nichts machte das Wiedererkennen schwieriger als das. Um ehrlich zu sein: Ich empfand die neue Kürze nicht gerade als Veränderung zum Positiven. Auch wenn sie wahrscheinlich alltagstauglicher ist.

Ja, und was nun uns Jungs anbetrifft: Wir scheinen seinerzeit ausschließlich bei jenem Friseur gewesen zu sein, der nur den einen Haarschnitt in seinem Repertoire hatte: den Bubikopf. Vielleicht lernte man als Herrenfriseur auch nur diesen einen Haarschnitt. Damals, in den 80ern. Jedenfalls trugen ihn die meisten von uns bis maximal knapp auf Kragenhöhe; nur die Cooleren, die mit den hautengsten Stretch-Jeans, ließen ihn zuweilen auch etwas über den Kragen wachsen.

In meiner ganzen gymnasialen Oberstufe gab es im Grunde nur zwei Ausnahmen von dieser Regel. Eine davon war ich. Wir beide waren langhaarig. Nicht mit schamhaft decouvrierendem Pferdeschwanz. Der war ein absolutes "No-Go". Brave katholische Mädchen aus der tiefsten Provinz trugen ihn. Allenfalls. Aber meistens nicht einmal mehr die. Nein, wir beide waren im ganz eigentlichen und elementaren Sinne des Wortes langhaarig. Es war ein wunderbares Körpergefühl, stets diesen feinen blonden Haarschleier um den Oberkörper zu fühlen. Und außerdem das beste Mittel, meine politischen Überzeugungen ohne Worte unübersehbar zu machen. Lange Haare bei Jungs hatten seinerzeit so ungefähr dieselbe Reizwirkung wie heute Glatzen. Es war schlicht unmöglich, sie einfach nur so und ganz unpolitisch zu tragen. Mit einem Wort: Man war damit obercool und außerdem ganz kräftig links. Jedenfalls nach dem eigenen Selbstverständnis. Ach ja, und übrigens: Lange Haare hatten auch damals nichts mit Nachlässigkeit zu tun. Die Stunden, die ich mit Waschen, Trocknen und Kämmen verbrachte, ungezählt.

As time goes by: Reichlich zwanzig Jahre später bei unserer Jubiläumsfete hatten auch wir männlichen Teilnehmer so unsre lieben Schwierigkeiten mit dem wechselseitigen Wiedererkennen. Weniger wegen der geänderten Kleidung, vor allem den inzwischen zumeist fehlenden knallengen Jeans. Immerhin trugen noch viele das Halskettchen und den Ring im linken Ohr. Aber so manche kamen statt mit einem Bubikopf obenrum recht kahl daher. Dafür konnten dann aber umso mehr stattliche Bierbäuche bewundert werden. Auch ein paar inzwischen sehr stattliche. Die größte Schwierigkeit bestand jedoch mit den Bärten: Praktisch keiner war da, der noch vollständig rasiert gewesen wäre. Schnurrbärte und Kinnbärte wechselten sich mit Schnurr- und Kinnbärten ab. Am häufigsten fanden sich jedoch die Vollbärte - in allen Ausprägungen vom Drei-Tage-Style à la Brad Pitt bis hin zu dichtem und langem Gesichtsbewuchs. Nur echte Rauschebärte gab es - noch - nicht. Wie gut, dass wir damals nicht wußten, wie wir heute aussehen würden!

Allein mein lieber Freund, der Oberstudienrat, hatte sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht verändert. Das kam nämlich so: Als besonderen Gag ließ er sich für unseren Abischerz einen kräftigen Vollbart stehen. Ab der schriftlichen Abiprüfung. Klaro, dass der gleich nach der alkoholischen Entgiftung wieder runter sollte. Was - ebenso klaro - bis heute nicht passiert ist. Er war eben schon immer der Coolste von uns allen. Der mit den engsten Jeans von uns allen. Kurz: der absolute Trendsetter. Und mittlerweile trägt er auch einen Pferdeschwanz...

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Wo bleibt Kapitel 3?

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Mir fallen die Brillen auf.
Jungs trugen alle das gleiche Genscher-Kassengestell, bei den Mädchen ging es bunter zu. Und größer. Und abgedunkelter.

Haare: hinten nackenkurz, vorne länger. War wohl die Gegenbewegung zum Vokuhila. Und natürlich Madonna-Style-Dauerwellen. Peinlich waren schon damals die ausgedünnten Stufenschnitte.

Knallenge Hosen? Die sind nur noch in Ausnahmefällen passiert, bei uns trug man Karotten-Look als Mädchen. Bei den Jungs weiß ich es nicht mehr.

Die Oberchefrebellen hörten "Ärzte"&"Hosen". Zugehört haben sie aber anscheinend nicht, denn "Türken raus" gehörte zum Standardrepertoire. Ich habe lange gebraucht, um meinen Frieden mit den Ärzten und den Hosen wegen ihrer saudämlichen Fans zu schließen.


Für einige Verwirrungen war ich zu jung, die Gnade der späten Geburt :-)


20 Jahre Abi stehen auch an, demnächst...

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@cassandra
Ich weiß nicht, ob Du die hautengen Jeans (vor allem die von uns Jungs) auch zu diesen "Verwirrungen" zählst - wie gesagt, bei uns konnten die Jeans nie eng genug sein, vor allem seit es die Stretch-Skinlines gab (z.B. die Mustang-Skinline - jeder, der in den 80ern in dem Alter war erinnert sich). Und zwar wurden die immer als ganze Röhre getragen, nie mit Schlag wie in den 70ern, mit Schlag hat sich niemand erwischen lassen! Diese hautengen Jeans, die natürlich nichts mehr versteckten und auch nichts mehr verstecken sollten, fand dann die nächste Generation in den 90ern einfach nur "schwul" (ein Wort, das dann zum schlimmsten Schimpfwort unter Jungs avancierte) - und mit ihren zwischen den Kniekehlen hängenden Schlabberhosen haben sie dann bei uns dann genauso unreflektierte Aversionen ausgelöst wie wir ein Jahrzehnt zuvor mit unseren hautengen Jeans.

Und ich gebe zu: Bei Jeans ist mein Geschmack bis heute: Wenn schon denn schon... Wer für Jeans einen Gürtel braucht hat nach meinem Geschmack jedenfalls jedenfalls definitiv etwas falsch gemacht...

Bei den Haaren kamen dann in den 90ern auch die Pferdeschwänze auf. Das wurde nach meiner Erinnerung so eine Art, als männliches Wesen sozusagen systemkonform langhaarig zu sein. In den 80ern kannten wir das noch nicht. Die kleine Minderheit, die damals so wie ich langhaarig war, trug das Haar sozusagen immer offen. Das ist übrigens auch etwas, was bis heute prägt: Ich habe gegenüber langhaarigen Jungs und Männern meistens ein positives Vorurteil, aber ich finde da auch: Wenn mann sich die Haare langwachsen lässt, dann sollte mann auch dazu stehen...

Die Bärte wurden nach meiner Erinnerung übrigens erst wieder vor ca. zehn Jahren "tragbar", zuerst noch vorsichtig als DReitagebart à la Brad Pitt, erst seit wenigen Jahren auch wieder als richtiger kräftiger Vollbart (das erinnerte auch zu sehr an die 70er...)

Ja, und die "Ärzte" gehörten auch nicht mehr wirklich zu uns - im Gegensatz zur NDW. Die meisten von uns zirkulierten außerdem irgendwo zwischen Uriah Heep und ACDC - ABBA hörten wir nur unter der Bettdecke - das hätte zu sehr an unserem Selbstbild gekratzt...:-)

Ich hatte dieses Jahr übrigens 25 Jahre Abi - da merkt man, was so ein paar wenige Jahre Unterschied machen - allein schon bei diesem Lifestyle - von der politischen Sozialisation ganz zu schweigen!

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Irgendwie kamen bei mir Jungs und was sie trugen erst in den 1990ern ins Bild. Ziemlich genau 1990 sogar.

Ich habe bis auf ein paar Ausnahmen wirklich keine Ahnung, wie eng sie ihre Hosen trugen. Die Ausnahmen trugen sie entweder so eng, daß man sich fragte, wie die da reingekommen sind, oder waren übergewichtig und im Schlabber-Look unterwegs.
Die engen Hosen waren irgendwie retro- auch wenn es das Wort noch nicht gab.
Die Schlabberhosen hatten auch nicht den HipHop-Stil, sondern waren von Quelle&Co aus dem Versandhandel und sollten panne aussehen.

Langhaarig waren nur die Metaller, nein, nicht die IG Metall-Jugend :-)

Was in Erinnerung geblieben ist, waren diese Einzelsträhnen hinten, die als Pferdeschwanzersatz bei Jungs durchgingen. Ob das cool oder peinlich war, hing natürlich vom Träger ab.

Ich habe bis ziemlich genau 1990 in der tiefsten Provinz gelebt und hatte beim Umzug erst mal so was wie einen Kulturschock.

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@cassandra
"Die Ausnahmen trugen sie entweder so eng, daß man sich fragte, wie die da reingekommen sind, oder waren übergewichtig und im Schlabber-Look unterwegs."

Aus eigener Erfahrung würde ich sagen: Das waren Stretch-Hosen. Die Mustang-Skinlines z.B. saßen wie eine zweite Haut, waren aber recht problemlos im Handling. Normale Jeans bekam man meistens gar nicht so eng wie man sie tragen wollte und wenn doch war das ein ziemliches "Schraubstockgefühl". Diese körperbetonte Mode bei Jungs/ Männern hatte immerhin auch den entschiedenen Vorteil, dass man auf seine Körperlichkeit achtete - also vor allem auf das Fett, das man ansetzte. In Schlabberhosen kann man sich dagegen eben auch in dieser Hinsicht gut "verstecken". Insofern war dieser Look seit den 90ern auch ein Förderprogramm für Adipositas...

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Mittlerweile habe ich die Geheimnisse der engen Hosen begriffen, aber damals war es eins dieser Dinge :-)

Mitte der 1990er waren Blasen- und Nierenbeckenentzündungen bei Mädchen schlagartig ultrahip- bauchnabelfrei im Winter war wohl doch nicht die allerbeste Idee.

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