Dienstag, 16. Oktober 2007
Caput 5: Politisierung Teil II - oder: Warum ich nicht der CDU beigetreten bin
Es gab nichts, was alle Phrasen vom "Arbeiterparadies" und den Vorzügen des Staatssozialismus eindrucksvoller widerlegt hätte als das, was man da so zu sehen bekam wenn man einfach nur eine Wandertour durch den Harz unternahm. Wer so etwas nötig hatte, dessen politisches Leitbild hatte sich als Utopie erledigt. Die Wahrheit ist: Damals hat sich ein ziemlich tief sitzender Antikommunismus bei mir eingeprägt, der durch spätere Erfahrungen nur noch weiter vertieft und verschärft wurde. Bei allem, was nach Marxismus riecht, kommen bei mir noch heute ganz unvermittelt heftige Aversionen hoch - jenseits aller in langen Jahren eingeübten wissenschaftlichen Fähigkeiten zur Rationalisierung und Distanzierung.

Nimmt man das ländlich-konservative Milieu hinzu, aus dem ich komme, und das altpietistische, streng evangelikale Elternhaus, so wäre der Weg in die Junge Union und damit in die CDU eigentlich vorgezeichnet gewesen. Auch wenn es heute schwer fällt einzugestehen: Ich bin damals aus Bad Sachsa als entschiedener Sympathisant von Leuten wie Franz Josef Strauß und Jürgen Todenhöfer zurück gekehrt. Ein Helmut Kohl erschien mir in meinem jugendlichen Überschwang im Grunde als viel zu lasch. Regelmäßig und mit entschiedener Zustimmung sah ich Gerhard Löwenthals "ZDF-Magazin". Den - auch für mich schon absehbaren (man mußte nur die fast täglichen Interviews von Graf Lambsdorff im Fernsehen sehen oder im Radio hören) - Zusammenbruch der sozialliberalen Koalition habe ich herbei gesehnt und begrüßt, als er endlich da war. Damit stand ich übrigens nicht alleine. Eine ganze Reihe damaliger Freunde ist später zur CDU gegangen bzw. macht bis heute keinen Hehl daraus, wo bei Wahlen ihr Kreuzchen steht. Natürlich zur Riesen-Enttäuschung der "68er", mit denen wir schon als Schüler politisch nie auf einen Nenner kamen.

Und doch bin ich dann nur drei Tage nach meinem 18. Geburtstag in die SPD eingetreten. Damals dem praktisch frühest möglichen Zeitpunkt. Und ihr Mitglied geblieben. Bis heute. Durch alle Höhen - und vor allem durch alle Tiefen. Auch in den Zeiten unter Gerhard Schröder, in denen es schließlich nur noch Tiefen gab. In denen es echte Selbstüberwindung zu kosten begann zuzugeben, dass man dieser Partei - nach wie vor - angehörte. Und zwar aus politischer Überzeugung. Die Haare blieben schon lange vor 1985 demonstrativ ungeschnitten. Alle, die mich in späteren Jahren kennen gelernt haben, kennen mich denn auch nur als notorischen Linken. Wie konnte das passieren?

Nun, zunächst einmal deshalb: Jemand, der sich so verbarrikadierte wie das SED-Regime, den brauchte man nicht wirklich zu fürchten. Der hatte im Grunde genommen Angst. Weil er weder Argumente noch gar eine Utopie hatte, die gelohnt hätten da zu bleiben. Ja, nicht einmal den handgreiflichsten und naheliegendsten Grund: wirtschaftlichen Erfolg. Das spürte man intuitiv, wenn man sich diese monströsen Grenzsperranlagen anschaute. Warum sonst dieser Riesenaufwand nur um zu verhüten, dass die eigenen Leute scharenweise davonliefen? Der "Ostblock" à la Honecker, das war keine totalitäre Bedrohung, das war ein spießiger autoritärer Obrigkeitsstaat. Eher vormärzliches Preußen denn stalinistische Sowjetunion.

Als zweites kam dann noch Heiner Geißler hinzu. In der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 1. Oktober 1982, etwa zwei Wochen vor unserer Klassenfahrt nach München. Als Helmut Kohl durch ein konstruktives Mißtrauensvotum Bundeskanzler wurde. Wir Schüler haben damals diese Bundestagssitzung in unserer Schulaula live im Fernsehen mitverfolgt. Nicht weil unsere Lehrer damit pädagogische Absichten verfolgt hätten sondern schlicht und einfach, weil sie selbst neugierig waren und sehen wollten was da passierte - und uns derweil nicht allein lassen konnten. So sind wir Schüler denn auch in den unmittelbaren Genuß dieses historischen Ereignisses gekommen - und ich persönlich zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Genauso wenig wie meine Eindrücke am Stacheldrahtzaun bei Walkenried werde ich nämlich die Art und Weise vergessen, in der der damalige CDU-Generalsekretär während dieser Debatte die unglückselige Frau Hildegard Hamm-Brücher niedermachte, die zu jener Minderheit von FDP-Abgeordneten gehörte, die nicht umgeschwenkt war. Als ob es ein Staatsverbrechen wäre, gegen die Machtansprüche der CDU zu stimmen!

Das fand ich unsäglich und es gab meinen politischen Sympathien einen ersten heftigen Stoß. Endgültig verließen sie mich dann anläßlich eines weiteren Ereignisses.

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