Samstag, 6. Oktober 2007
Caput 4: Politisierung Teil 1
Die Atmosphäre der frühen 80er war politisch reichlich aufgeladen. Und das war prägend. Nein, nicht mehr so wie noch anderthalb Jahrzehnte zuvor. Obwohl es unter den etwas Älteren viele gab, die "ihren" Karl Marx herunterbeten konnten wie ein frommer Christ das Apostolische Glaubensbekenntnis. Und das zu unserem Leidwesen bei jeder Gelegenheit, die sich bot, dann auch taten. Übrigens noch Ende der 80er Jahre, als ich an der nahe gelegenen Universität Bremen mein Studium begann (aber die war ja in dieser Hinsicht auch berüchtigt).

Wir hatten auch nicht mehr die alten Nazis als Lehrer in der Schule wie noch die "68er". Die Zeit zwischen 1933 und 1945 kam bei uns im Geschichtsunterricht durchaus - und zwar umfangreich - vor. Ich erinnere mich noch heute des beklemmenden Gefühls, das ich hatte, als wir während einer Klassenfahrt nach München im Oktober 1982 die Überreste des Konzentrationslagers Dachau besuchten. Allerdings reduzierte sich unser Geschichtsunterricht auch nicht auf den Nationalsozialismus und seine Schrecken. Und zur eigentlichen Politisierung trug solch ein Erlebnis nicht wirklich bei. So wenig wie der Besuch von Schloß Linderhof, den wir auf den Spuren Ludwigs II. einen Tag nach unserem Dachau-Besuch machten (Fotos davon besitze ich noch heute). Es waren furchtbare Dinge aus einer vergangenen Zeit. Aber eben aus einer vergangenen Zeit.

Ebenso wenig trug zu dieser Politisierung die Geschichte diverser nicaraguanischer Befreiungsbewegungen bei, die ein damals junger, stramm antiamerikanisch gesonnener Gemeinschaftskundelehrer uns zu pauken nötigte. Er hat mir "nur" die Beschäftigung mit den Problemen der sogenannten Dritten Welt genauso vergällt wie ein paar Jahre später eine rabiat SED-kommunistisch gesonnene Germanistik-Professorin die Lektüre von Brecht (wer damals an der Universität Bremen Germanistik studiert hat weiß wen ich meine).

Für mich persönlich war da schon ein anderes Erlebnis weit wichtiger. Es fand im März/ April 1981 statt - also gerade mal um meinen 14. Geburtstag herum. Im Rückblick betrachtet also erstaunlich früh. Was ich aus heutiger Sicht für ein mich persönlich betreffendes Indiz dieser politischen Aufgeladenheit des damaligen Zeitgeistes halte.

Ich befand mich damals mit gut drei dutzend anderen Jugendlichen in meinem Alter für sechs Wochen in einem Jugendcamp in Bad Sachsa im Südharz. Es lag nur eine kurze Wegstrecke von der damaligen innerdeutschen Grenze entfernt. Jedesmal wenn man etwas aus dem Ort heraus kam hatte man diese monströsen Sperranlagen samt Wachtürmen vor Augen. Jedesmal wurde man durch zahlreiche Ferngläser mißtrauisch beäugt - das Gewehr und den Wachhund immer in Reichweite. Die Bahnstrecke zwischen Northeim und Nordhausen endete kurz hinter Walkenried abrupt im Stacheldraht. Unsere Erzieherinnen schärften uns ein, ja niemals dorthin zu gehen. Wenn wir es doch täten würde man auf uns schießen.

Das hat sich mir unauslöschlich eingeprägt. Hallo, wo leben wir hier eigentlich???

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"als ich an der nahe gelegenen Universität Bremen mein Studium begann (aber die war ja in dieser Hinsicht auch berüchtigt)"

Ist immer noch ein Freiluftlangzeitexperiment, die Uni Bremen :-)
Statt Marx muß man jetzt aber Butler können. Marx schadet zwar nicht, aber reicht nicht mehr hinne.

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