Freitag, 15. August 2014
Meine erste Begegnung mit Bremen - oder: die Bundeswehr und die Badehosen in den 80ern...
haruwa, 18:52h
Meine erste Begegnung mit Bremen fand im Februar 1986 statt, wenige Wochen vor meinem 19. Geburtstag - und nein, sie hatte überhaupt nichts mit der Universität zu tun, sondern mit einem völlig anderen Feld des sprichwörtlichen Kampfs ums Dasein: der Bundeswehr. Jawoll! Es ging - natürlich - um meine Musterung. In Moskau war Gorbatschow damals gerade eben erst an die Macht gekommen, in Washington herrschten noch immer arktische Temperaturen im Kalten Krieg und auch in der alten, kleinen Bundesrepublik stand die allgemeine Wehrpflicht noch in voller Blüte. Sie betrug 15 Monate - ersatzweise konnte ein wesentlich längerer Zivildienst geleistet werden, der aber nur durch eine hochnotpeinliche Gewissensprüfung vor einer Hohen Behörde des Bundesbeauftragten für den Zivildienst erreichbar war. Niemand ahnte damals, dass der Zivildienst eines Tages ursächlich dafür werden würde, dass der Wehrdienst über Jahre hinweg künstlich am Leben erhalten bleiben würde...
Die Wahrheit ist allerdings, dass ich damals - im Jahre 1986 - nicht einen Augenblick lang daran dachte, den Wehrdienst zu verweigern. Das mag eine unbewusste Prägung gewesen sein: Als ich mich sehr viel später für Familiengeschichte zu interessieren begann, habe ich ziemlich erstaunt festgestellt, wieviele Berufssoldaten es in der Familie meines Vaters gegeben hatte. Das wusste ich 1986 allerdings noch nicht. Mit dem Kopf war ich sowieso ganz woanders: Natürlich hatte ich mich bei etwas Älteren in unserem Dorf umgehört, wie "das" denn so sei - es war schließlich völlig klar, dass als zumeist nur geringfügig verspätetes Geburtstagsgeschenk zum 18. Geburtstag der Musterungsbescheid ins Haus flattern würde...
Ja, und das, was ich da so in Erfahrung gebracht hatte, ging ungefähr in die folgende Richtung: Die ersten drei Monate werden schlimm. Sechs Wochen lang wird nichts anderes geübt, als seine Hemden auf einem DIN-A4-Blatt zu falten. Mit ununterbrochenen Tobsuchtsanfällen des Spieß als kostenloser Dreingabe. Dann heißt es zwei Wochen lang Bettlaken und Kissenbezüge faltenfrei aufziehen. Und wehe, das klappt nicht! Danach wirst Du noch vier Wochen lang mit 40 Kilo Gepäck auf dem Rücken durch die Botanik gescheucht, vor allem der Hindernisparcours hat es in sich, da musst Du mit dem ganzen Krempel samt Sturmgewehr - natürlich ohne Leiter - über eine drei Meter hohe Mauer klettern und Dir nach Möglichkeit beim Herunterfallen auf der anderen Seite nicht alle Knochen brechen. Bist Du durch diese drei Monate aber erst einmal durch, dann bestehen die restlichen zwölf vor allem aus Gewehre putzen und Dauersuff. Geistig befand sich die Bundeswehr damals nämlich zwar im Kalten Krieg, praktisch aber im tiefsten Frieden fernab jeder Auslandsmission - und wusste kaum, wohin mit den vielen wehrpflichtigen Soldaten, die sie ausgebildet hatte.
Als ich damals im Februar 1986 mit der Bimmelbahn erstmals in meinem Leben nach Bremen fuhr, hatte ich also vor allem drei Dinge im Kopf: Hemden, Bettlaken und wie ich wohl mit 40 Kilo Gepäck auf dem Rücken über eine drei Meter hohe Mauer kommen sollte... Solche Kunststückchen kannte man sonst nämlich nur aus den Zirkus-Sendungen, die manchmal am Samstag abends im Fernsehen liefen.
Der Weg vom Hauptbahnhof war nach der Beschreibung, die man mitbekommen hatte, nicht zu verfehlen: mit der Linie 10 bis zur Daniel-von-Büren-Straße - und dort steht dann auf der Ecke auch gleich das markante Gebäude mit dem Bundesadler neben der Eingangstür: das Kreiswehrersatzamt. Es steht dort immer noch, heute, achtundzwanzigeinhalb Jahre später. Ein Kreiswehrersatzamt ist in diesem Gebäude freilich schon lange nicht mehr untergebracht. Ich habe dieses Gebäude nur ein einziges Mal in meinem Leben betreten, an jenem Tag im Februar 1986 - es ist aber bis heute gefühlsmäßig so etwas wie mein "Heimathaus" in Bremen geblieben: Dort, wo man zuerst angekommen ist. Ja, und die Straßenbahnen der Linie 10 bestanden damals übrigens noch aus der ganz alten Holzklasse - ihre Fahrzeuge stammten aus der Zeit gleich nach dem Krieg. Ich bin nur an diesem einen Tag mit ihnen gefahren - als ich zwei Jahre später das nächste Mal nach Bremen kam, waren sie bereits ausgemustert. Allerdings hat bis heute die Linie 10 der BSAG die ältesten Fahrzeuge des Unternehmens - traditionsgemäß...
Und dann war da noch etwas: Auf meinem Musterungsbescheid, daran erinnere ich mich ganz genau, stand in fetten Lettern geschrieben: BITTE BRINGEN SIE ZUR MUSTERUNG DIESEN BESCHEID UND EINE BADEHOSE MIT!!! Genau so - mit drei Ausrufezeichen. Die Badehose musste wahnsinnig wichtig sein. Und deshalb hatte ich selbstverständlich eine dabei. Den Bescheid natürlich auch.
Das mit der Badehose hat sich dann sehr schnell aufgeklärt: Gleich vom Pförtner erhielt man die Anweisung: "Gehen Sie da rechts in die Umkleide (es kann auch links gewesen sein) und ziehen Sie sich aus. Sie können sich dort eine Badehose anziehen, aber mehr nicht. Wenn Sie keine dabei haben, dann brauchen Sie sich nicht zu genieren." Ah ja.
Dort in der Umkleide trafen sich dann nach und nach etwa zwanzig Jungs - soweit ich mich erinnern kann, hatten alle die Warnung beherzigt und eine Badehose mitgebracht. Allerdings das, was wir damals unter Badehosen verstanden! Badehosen mit einer Handbreit Seitenhöhe hielten wir Jungs nämlich für spießig, so etwas "textillastiges" zogen die meisten von uns nicht an. Ich erinnere mich, dass meine Badehose aus zwei Textilstückchen bestand, in die gerade so das Nötigste hinein passte, jedenfalls wenn man ganz ruhig blieb, was mit 19 nicht immer möglich ist, und die an den Seiten durch zwei schmale Bändchen zusammengehalten wurden. Ein paar Jahre später bekam man so etwas nur noch im einschlägigen Versandhandel, in den 80ern nahmen wir Jungs dagegen ganz selbstverständlich in solchen Miniaturhöschen am schulischen Schwimmunterricht teil. Im Rückblick sind es einmal mehr die damaligen Klamotten, an die man sich vor allem erinnert - und an deren aus heutiger Sicht ganz erstaunliche Körperbetontheit. Die uns nachfolgende Generation von Jungs wusste in den 90ern dann schon ganz genau, dass man uns mit nichts höher auf die Palme bringen konnte wie mit einem ausgeprägten Schlabberlook - mit tiefstgeflaggten Baggy-Shorts und knielangen Badeshorts.
Die Musterung selbst dauerte von neun bis fünfzehn Uhr und ich erinnere vor allem zwei Dinge: Es war lausekalt und es war todlangweilig. Wir wurden durch vier oder fünf Stationen geschoben - wenn man erst einmal dran kam, dann ging es sehr schnell - in der Regel nur zwei oder drei Minuten. Aber davor und danach hing man mit fast null Bekleidung auf einem nur spärlich beheizten Flur vor einer verschlossenen Bürotür herum. Eine Stunde und länger. Ich erinnere mich auch, dass in den Büros dann einige alte Herren mit weißen Kitteln und weißen Haaren und dicken Bäuchen und grob schnauzender Kommisstimme saßen. An mehr allerdings nicht. Im Nachhinein habe ich oft gedacht: Ein schöner Job, den diese alten Herren damals hatten. Damals war ich allerdings einfach nur froh, als ich mich endlich wieder anziehen durfte. Gegen 16 Uhr war ich wieder am Hauptbahnhof.
Das Ende vom Lied war dann allerdings, dass ich ausgemustert wurde. Vielleicht lag es an meiner damaligen Haarlänge, die womöglich doch etwas suspekt erschien. Jedenfalls hatte es sich mit dem Hemden-Falten auf einem DIN-A4-Blatt damit ebenso erledigt wie mit dem Klettern über eine Drei-Meter-Mauer. Tatsache ist aber auch, dass ich das damals eher als Enttäuschung erlebte. Ich wollte ja eigentlich Soldat werden. Das war nach dem Abitur bei mir eigentlich fest eingeplant. Und nicht nur, weil ich mich auf den Suff-Modus gefreut habe, der nach den schlimmen drei ersten Monaten kommen würde. Wie groß oder klein die Übereinstimmungen dieser damaligen Vorstellungen mit der Realität, die mich erwartet hätte, denn auch gewesen sein mögen.
Als ich 1988 zum zweiten Mal nach Bremen kam, geschah dies dann allerdings unter völlig anderen Vorzeichen.
Die Wahrheit ist allerdings, dass ich damals - im Jahre 1986 - nicht einen Augenblick lang daran dachte, den Wehrdienst zu verweigern. Das mag eine unbewusste Prägung gewesen sein: Als ich mich sehr viel später für Familiengeschichte zu interessieren begann, habe ich ziemlich erstaunt festgestellt, wieviele Berufssoldaten es in der Familie meines Vaters gegeben hatte. Das wusste ich 1986 allerdings noch nicht. Mit dem Kopf war ich sowieso ganz woanders: Natürlich hatte ich mich bei etwas Älteren in unserem Dorf umgehört, wie "das" denn so sei - es war schließlich völlig klar, dass als zumeist nur geringfügig verspätetes Geburtstagsgeschenk zum 18. Geburtstag der Musterungsbescheid ins Haus flattern würde...
Ja, und das, was ich da so in Erfahrung gebracht hatte, ging ungefähr in die folgende Richtung: Die ersten drei Monate werden schlimm. Sechs Wochen lang wird nichts anderes geübt, als seine Hemden auf einem DIN-A4-Blatt zu falten. Mit ununterbrochenen Tobsuchtsanfällen des Spieß als kostenloser Dreingabe. Dann heißt es zwei Wochen lang Bettlaken und Kissenbezüge faltenfrei aufziehen. Und wehe, das klappt nicht! Danach wirst Du noch vier Wochen lang mit 40 Kilo Gepäck auf dem Rücken durch die Botanik gescheucht, vor allem der Hindernisparcours hat es in sich, da musst Du mit dem ganzen Krempel samt Sturmgewehr - natürlich ohne Leiter - über eine drei Meter hohe Mauer klettern und Dir nach Möglichkeit beim Herunterfallen auf der anderen Seite nicht alle Knochen brechen. Bist Du durch diese drei Monate aber erst einmal durch, dann bestehen die restlichen zwölf vor allem aus Gewehre putzen und Dauersuff. Geistig befand sich die Bundeswehr damals nämlich zwar im Kalten Krieg, praktisch aber im tiefsten Frieden fernab jeder Auslandsmission - und wusste kaum, wohin mit den vielen wehrpflichtigen Soldaten, die sie ausgebildet hatte.
Als ich damals im Februar 1986 mit der Bimmelbahn erstmals in meinem Leben nach Bremen fuhr, hatte ich also vor allem drei Dinge im Kopf: Hemden, Bettlaken und wie ich wohl mit 40 Kilo Gepäck auf dem Rücken über eine drei Meter hohe Mauer kommen sollte... Solche Kunststückchen kannte man sonst nämlich nur aus den Zirkus-Sendungen, die manchmal am Samstag abends im Fernsehen liefen.
Der Weg vom Hauptbahnhof war nach der Beschreibung, die man mitbekommen hatte, nicht zu verfehlen: mit der Linie 10 bis zur Daniel-von-Büren-Straße - und dort steht dann auf der Ecke auch gleich das markante Gebäude mit dem Bundesadler neben der Eingangstür: das Kreiswehrersatzamt. Es steht dort immer noch, heute, achtundzwanzigeinhalb Jahre später. Ein Kreiswehrersatzamt ist in diesem Gebäude freilich schon lange nicht mehr untergebracht. Ich habe dieses Gebäude nur ein einziges Mal in meinem Leben betreten, an jenem Tag im Februar 1986 - es ist aber bis heute gefühlsmäßig so etwas wie mein "Heimathaus" in Bremen geblieben: Dort, wo man zuerst angekommen ist. Ja, und die Straßenbahnen der Linie 10 bestanden damals übrigens noch aus der ganz alten Holzklasse - ihre Fahrzeuge stammten aus der Zeit gleich nach dem Krieg. Ich bin nur an diesem einen Tag mit ihnen gefahren - als ich zwei Jahre später das nächste Mal nach Bremen kam, waren sie bereits ausgemustert. Allerdings hat bis heute die Linie 10 der BSAG die ältesten Fahrzeuge des Unternehmens - traditionsgemäß...
Und dann war da noch etwas: Auf meinem Musterungsbescheid, daran erinnere ich mich ganz genau, stand in fetten Lettern geschrieben: BITTE BRINGEN SIE ZUR MUSTERUNG DIESEN BESCHEID UND EINE BADEHOSE MIT!!! Genau so - mit drei Ausrufezeichen. Die Badehose musste wahnsinnig wichtig sein. Und deshalb hatte ich selbstverständlich eine dabei. Den Bescheid natürlich auch.
Das mit der Badehose hat sich dann sehr schnell aufgeklärt: Gleich vom Pförtner erhielt man die Anweisung: "Gehen Sie da rechts in die Umkleide (es kann auch links gewesen sein) und ziehen Sie sich aus. Sie können sich dort eine Badehose anziehen, aber mehr nicht. Wenn Sie keine dabei haben, dann brauchen Sie sich nicht zu genieren." Ah ja.
Dort in der Umkleide trafen sich dann nach und nach etwa zwanzig Jungs - soweit ich mich erinnern kann, hatten alle die Warnung beherzigt und eine Badehose mitgebracht. Allerdings das, was wir damals unter Badehosen verstanden! Badehosen mit einer Handbreit Seitenhöhe hielten wir Jungs nämlich für spießig, so etwas "textillastiges" zogen die meisten von uns nicht an. Ich erinnere mich, dass meine Badehose aus zwei Textilstückchen bestand, in die gerade so das Nötigste hinein passte, jedenfalls wenn man ganz ruhig blieb, was mit 19 nicht immer möglich ist, und die an den Seiten durch zwei schmale Bändchen zusammengehalten wurden. Ein paar Jahre später bekam man so etwas nur noch im einschlägigen Versandhandel, in den 80ern nahmen wir Jungs dagegen ganz selbstverständlich in solchen Miniaturhöschen am schulischen Schwimmunterricht teil. Im Rückblick sind es einmal mehr die damaligen Klamotten, an die man sich vor allem erinnert - und an deren aus heutiger Sicht ganz erstaunliche Körperbetontheit. Die uns nachfolgende Generation von Jungs wusste in den 90ern dann schon ganz genau, dass man uns mit nichts höher auf die Palme bringen konnte wie mit einem ausgeprägten Schlabberlook - mit tiefstgeflaggten Baggy-Shorts und knielangen Badeshorts.
Die Musterung selbst dauerte von neun bis fünfzehn Uhr und ich erinnere vor allem zwei Dinge: Es war lausekalt und es war todlangweilig. Wir wurden durch vier oder fünf Stationen geschoben - wenn man erst einmal dran kam, dann ging es sehr schnell - in der Regel nur zwei oder drei Minuten. Aber davor und danach hing man mit fast null Bekleidung auf einem nur spärlich beheizten Flur vor einer verschlossenen Bürotür herum. Eine Stunde und länger. Ich erinnere mich auch, dass in den Büros dann einige alte Herren mit weißen Kitteln und weißen Haaren und dicken Bäuchen und grob schnauzender Kommisstimme saßen. An mehr allerdings nicht. Im Nachhinein habe ich oft gedacht: Ein schöner Job, den diese alten Herren damals hatten. Damals war ich allerdings einfach nur froh, als ich mich endlich wieder anziehen durfte. Gegen 16 Uhr war ich wieder am Hauptbahnhof.
Das Ende vom Lied war dann allerdings, dass ich ausgemustert wurde. Vielleicht lag es an meiner damaligen Haarlänge, die womöglich doch etwas suspekt erschien. Jedenfalls hatte es sich mit dem Hemden-Falten auf einem DIN-A4-Blatt damit ebenso erledigt wie mit dem Klettern über eine Drei-Meter-Mauer. Tatsache ist aber auch, dass ich das damals eher als Enttäuschung erlebte. Ich wollte ja eigentlich Soldat werden. Das war nach dem Abitur bei mir eigentlich fest eingeplant. Und nicht nur, weil ich mich auf den Suff-Modus gefreut habe, der nach den schlimmen drei ersten Monaten kommen würde. Wie groß oder klein die Übereinstimmungen dieser damaligen Vorstellungen mit der Realität, die mich erwartet hätte, denn auch gewesen sein mögen.
Als ich 1988 zum zweiten Mal nach Bremen kam, geschah dies dann allerdings unter völlig anderen Vorzeichen.
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