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Samstag, 24. November 2007
Caput 6: Politisierung Teil III - oder: Guadeloupe und die Folgen
haruwa, 12:17h
Dieses weitere Ereignis hatte sich bereits 1977 angebahnt - also noch in einer Zeit, in der ich mit Politik gar nichts anfangen konnte sondern gerade heftig pubertierte. Jene Kräfte in der KPdSU, die mit der Entspannungspolitik der vorausgehenden Jahre nichts anfangen konnten und außerdem die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit ihres Landes genauso heillos überschätzten wie die heutige Bush-Administration die des ihrigen, kamen damals auf die grandiose Idee, eine Lücke im Vertragssystem mit dem Westen zu nutzen um wieder kräftig aufrüsten zu können: im Bereich der atomaren Mittelstreckenraketen. Außerdem kamen sie dann zwei Jahre später auch noch auf eine weitere grandiose Idee, die einem heute ein ebenso fatales Déja-vu-Erlebnis verschafft: Truppen nach Afghanistan zu schicken.
Vor allem die Mittelstreckenraketen ließen nun den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht ruhen. Schließlich waren sie vor allem in Mitteleuropa stationiert und konnten die USA gar nicht erreichen - dafür aber umso problemloser die westdeutsche Bundesrepublik. Nach der damals bereits ausgeleierten politischen Logik des Kalten Krieges mußten sie daher entweder wegverhandelt oder durch eine entsprechende "Nachrüstung" kompensiert werden. In den Hauptstädten der westlichen Atommächte saßen nun damals überall Freunde an den entscheidenden Hebeln der Macht: in den USA der überaus verdiente Menschenrechtsaktivist Jimmy Carter, in Großbritannien der Gewerkschafts nahe Labour-Premier James Callaghan und in Frankreich der liberale Duz-Freund Helmut Schmidts Valéry Giscard d´Estaing. Man brachte daher in aller Freundschaft diesen "Doppelbeschluß" ohne großes Nachdenken über die möglichen Folgen gemeinsam auf den Weg. Auf Guadeloupe in der Karibik.
Als Erinnerungsfetzen von damals habe ich noch die Fernsehbilder in Erinnerung, wie die vier Hohen Herren überaus korrekt gekleidet in dunklen Anzügen mit Schlips und Kragen zwischen den barbusigen Touristinnen am Strand der Karibikinsel spazieren gingen. Offen gestanden: Hauptsächlich wegen der barbusigen Touristinnen. Wie gesagt, ich war seinerzeit gerade am Pubertieren und entdeckte dabei bestimmte Teile der weiblichen Körperlichkeit von einer ganz neuen, überaus faszinierenden Seite. Mit solchen Augen sehend erschienen mir die Hohen Herren in ihren vornehmen Anzügen daher nur als Störfaktor im Bild. Ich verstand noch nicht, warum die Kamera immer auf sie gerichtet blieb. Sie standen doch immer nur im Wege bei dem, was man eigentlich sehen wollte. Jedenfalls müssen die Hohen Herren in ihrer dicken, dunklen Kleidung mit den einengenden Krawatten fürchterlich geschwitzt haben.
Als Resultat dieses schwitzigen Karibik-Aufenthaltes begannen nun Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion, die sich zäh wie ein schlechter amerikanischer Kaugummi über nicht weniger als sechs Jahre hinzogen. Man tagte im noblen Genf so vor sich hin und mittlerweile veränderte sich die politische Landschaft - und zwar radikal. Zunächst einmal löste in Großbritannien die "Eiserne" - oder besser: Stählerne - "Lady" Margret Thatcher den leider allzu quietistischen Labour-Premier ab. Und wenig später eroberte der "Große Kommunikator" Ronald Reagan im Sturmschritt Amerika. Beide sollten die Schrittmacher für die Weltpolitik des nächsten - für meine Sozialisation entscheidenden - Jahrfünfts werden. Wohin die Reise gehen sollte wurde bereits 1982 deutlich, als Mrs. Thatcher der argentinischen Militärjunta mittels Krieg zeigen ließ, wo der Hafenkonstrukteur von Port Stanley die Fahrrinne in Richtung Heimat offen gelassen hatte.
Ein Jahr später näherte sich die gesetzte Verhandlungsfrist in Genf ihrem Ende. Man war dort zwischenzeitlich bei einem bald schon berühmten und heute längst wieder vergessenen Spaziergang der beiden Delegationsleiter (nein, nicht durch einen Pulk barbusiger Toruistinnen sondern durch einen völlig unerotischen Schweizer Wald) sogar zu einem akzeptablen Ergebnis gekommen. Akzeptabel im Verständnis derjenigen, die das "Gleichgewicht des Schreckens" in der immanenten Logik des Kalten Krieges aufrecht erhalten und so eine Eskalation hin zu einem Dritten Weltkrieg verhindern wollten.
Aber völlig inakzeptabel im Verständnis derjenigen, die eben genau das wollten, die den Jahrzehnte alten weltpolitischen Konsens nunmehr einseitig aufkündigten und statt seiner hybride Allmachtsphantasien zum neuen politischen Leitbild erhoben. Für die Krieg und vor allem Krieg das selbstverständliche Mittel zur Durchsetzung dieser globalen Omnipotenz-Vorstellungen darstellte. Als Beruhigungspille für die eigene Bevölkerung wurde dabei ein angeblich todsicheres Raketenabwehrsystem namens SDI entwickelt, das zwar nie sehr weit über (milliardenteure) Computeranimationen hinaus gelangte, dafür aber Reminszenzen an das neue Raketenabwehrsystem weckt, mit dem George W. Bush ein Vierteljahrhundert später nunmehr Polen und Tschechien beglücken möchte.
Diese Kräfte hatten nun das machtpolitische Ruder in Washington in die Hand genommen. Ihre prominentesten Gesichter trugen heute verflossene Namen wie Caspar Weinberger und William Casey (seinerzeit waren diese jedoch beinahe täglich in der "Tagesschau" zu sehen und zu hören). Aber auch Figuren wie Richard Pearl (Markenzeichen: pinkfarbene Hosenträger mit quietschgelben Schnallen) und Donald Rumsfeld waren bereits dabei. Zwanzig Jahre später werden wir sie unbelehrt mit den gleichen militaristischen Allmachtsphantasien gegen eine "Welt von Feinden", genannt "Schurkenstaaten", vorgehen sehen. Damals war es das "Empire of evil", das sie ihren Vormann Ronald Reagan in einer unsäglichen Hetzrede eben 1983 beschwören ließen.
Was 1983 in Mitteleuropa drohte war - wohl nicht nur, aber vor allem auch in meiner Perspektive - schlichtweg ein atomarer Krieg. Angezettelt von den USA. Und zu meiner unsäglichen Enttäuschung attachiert von jener Partei, der im Grunde noch immer meine ganzen Sympathien galten.
Vor allem die Mittelstreckenraketen ließen nun den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht ruhen. Schließlich waren sie vor allem in Mitteleuropa stationiert und konnten die USA gar nicht erreichen - dafür aber umso problemloser die westdeutsche Bundesrepublik. Nach der damals bereits ausgeleierten politischen Logik des Kalten Krieges mußten sie daher entweder wegverhandelt oder durch eine entsprechende "Nachrüstung" kompensiert werden. In den Hauptstädten der westlichen Atommächte saßen nun damals überall Freunde an den entscheidenden Hebeln der Macht: in den USA der überaus verdiente Menschenrechtsaktivist Jimmy Carter, in Großbritannien der Gewerkschafts nahe Labour-Premier James Callaghan und in Frankreich der liberale Duz-Freund Helmut Schmidts Valéry Giscard d´Estaing. Man brachte daher in aller Freundschaft diesen "Doppelbeschluß" ohne großes Nachdenken über die möglichen Folgen gemeinsam auf den Weg. Auf Guadeloupe in der Karibik.
Als Erinnerungsfetzen von damals habe ich noch die Fernsehbilder in Erinnerung, wie die vier Hohen Herren überaus korrekt gekleidet in dunklen Anzügen mit Schlips und Kragen zwischen den barbusigen Touristinnen am Strand der Karibikinsel spazieren gingen. Offen gestanden: Hauptsächlich wegen der barbusigen Touristinnen. Wie gesagt, ich war seinerzeit gerade am Pubertieren und entdeckte dabei bestimmte Teile der weiblichen Körperlichkeit von einer ganz neuen, überaus faszinierenden Seite. Mit solchen Augen sehend erschienen mir die Hohen Herren in ihren vornehmen Anzügen daher nur als Störfaktor im Bild. Ich verstand noch nicht, warum die Kamera immer auf sie gerichtet blieb. Sie standen doch immer nur im Wege bei dem, was man eigentlich sehen wollte. Jedenfalls müssen die Hohen Herren in ihrer dicken, dunklen Kleidung mit den einengenden Krawatten fürchterlich geschwitzt haben.
Als Resultat dieses schwitzigen Karibik-Aufenthaltes begannen nun Verhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion, die sich zäh wie ein schlechter amerikanischer Kaugummi über nicht weniger als sechs Jahre hinzogen. Man tagte im noblen Genf so vor sich hin und mittlerweile veränderte sich die politische Landschaft - und zwar radikal. Zunächst einmal löste in Großbritannien die "Eiserne" - oder besser: Stählerne - "Lady" Margret Thatcher den leider allzu quietistischen Labour-Premier ab. Und wenig später eroberte der "Große Kommunikator" Ronald Reagan im Sturmschritt Amerika. Beide sollten die Schrittmacher für die Weltpolitik des nächsten - für meine Sozialisation entscheidenden - Jahrfünfts werden. Wohin die Reise gehen sollte wurde bereits 1982 deutlich, als Mrs. Thatcher der argentinischen Militärjunta mittels Krieg zeigen ließ, wo der Hafenkonstrukteur von Port Stanley die Fahrrinne in Richtung Heimat offen gelassen hatte.
Ein Jahr später näherte sich die gesetzte Verhandlungsfrist in Genf ihrem Ende. Man war dort zwischenzeitlich bei einem bald schon berühmten und heute längst wieder vergessenen Spaziergang der beiden Delegationsleiter (nein, nicht durch einen Pulk barbusiger Toruistinnen sondern durch einen völlig unerotischen Schweizer Wald) sogar zu einem akzeptablen Ergebnis gekommen. Akzeptabel im Verständnis derjenigen, die das "Gleichgewicht des Schreckens" in der immanenten Logik des Kalten Krieges aufrecht erhalten und so eine Eskalation hin zu einem Dritten Weltkrieg verhindern wollten.
Aber völlig inakzeptabel im Verständnis derjenigen, die eben genau das wollten, die den Jahrzehnte alten weltpolitischen Konsens nunmehr einseitig aufkündigten und statt seiner hybride Allmachtsphantasien zum neuen politischen Leitbild erhoben. Für die Krieg und vor allem Krieg das selbstverständliche Mittel zur Durchsetzung dieser globalen Omnipotenz-Vorstellungen darstellte. Als Beruhigungspille für die eigene Bevölkerung wurde dabei ein angeblich todsicheres Raketenabwehrsystem namens SDI entwickelt, das zwar nie sehr weit über (milliardenteure) Computeranimationen hinaus gelangte, dafür aber Reminszenzen an das neue Raketenabwehrsystem weckt, mit dem George W. Bush ein Vierteljahrhundert später nunmehr Polen und Tschechien beglücken möchte.
Diese Kräfte hatten nun das machtpolitische Ruder in Washington in die Hand genommen. Ihre prominentesten Gesichter trugen heute verflossene Namen wie Caspar Weinberger und William Casey (seinerzeit waren diese jedoch beinahe täglich in der "Tagesschau" zu sehen und zu hören). Aber auch Figuren wie Richard Pearl (Markenzeichen: pinkfarbene Hosenträger mit quietschgelben Schnallen) und Donald Rumsfeld waren bereits dabei. Zwanzig Jahre später werden wir sie unbelehrt mit den gleichen militaristischen Allmachtsphantasien gegen eine "Welt von Feinden", genannt "Schurkenstaaten", vorgehen sehen. Damals war es das "Empire of evil", das sie ihren Vormann Ronald Reagan in einer unsäglichen Hetzrede eben 1983 beschwören ließen.
Was 1983 in Mitteleuropa drohte war - wohl nicht nur, aber vor allem auch in meiner Perspektive - schlichtweg ein atomarer Krieg. Angezettelt von den USA. Und zu meiner unsäglichen Enttäuschung attachiert von jener Partei, der im Grunde noch immer meine ganzen Sympathien galten.
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